Hätte mir vor genau drei Jahren jemand gesagt, dass ich heute einen Artikel für einen Fotografie-Blog schreibe, ich hätte ihn ausgelacht. Was hatte ich mit Fotografie am Hut?
Nichts, absolut nichts.
Aber es gab ihn, den Tag, der mein ganzes Leben in einer Nacht Ende Februar 2020 komplett auf den Kopf gestellt hat. Ich wurde nachts um 3 Uhr wach, musste mal erledigen, was jeder so ab und an mal erledigen muss. Nur vielleicht nicht unbedingt nachts.
Plötzlich drehte sich alles um mich herum, es zog mir den Boden unter den Füßen weg, mir wurde speiübel, ich fror, zitterte am ganzen Körper, hatte Schweißausbrüche und musste erbrechen. Ich merkte, dass da gerade was mit mir passierte, was nicht normal war. Mein Körper war in einer absoluten Ausnahmesituation.
Ich wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht, ein Schlaganfall wurde noch zu Hause ausgeschlossen. Ich dachte, ich hör’ nicht richtig, als die Ärztin sagte “Frau Hartmann, einen Schlaganfall haben Sie zum Glück nicht!” Oh, das war aber sehr beruhigend. Aber was war es denn dann?
Es begann eine Odyssee, die meiner Familie und mir endlos lange vorkam. Trotz ständiger Infusionen hatte ich diese Anfälle fast jeden Tag. Es war ein absoluter Alptraum. Ich war zu dieser Zeit zu nichts in der Lage. Mein Mann dachte, ich würde ein Pflegefall, so schlimm war mein Zustand. Selbst mein eigenes Reden war mir zu laut, so geräuschempfindlich war ich. Ich hatte große Panik als klar war, dass ich mit dem Liegendtransporter zur MRT-Diagnostik in ein anderes Krankenhaus gefahren werden muss. Ein Tumor im Hirn sollte ausgeschlossen werden. Meine Panik vor Geräuschen war groß, sie schienen die Anfälle zu begünstigen. Eine Autofahrt ist da nicht förderlich, ein MRT schon gar nicht. Es war kein Tumor, zum Glück. Aber die Anfälle blieben. Etliche Male freute ich mich darauf, entlassen zu werden, der Termin stand. Bis sich kurz vorher wieder ein Anfall ankündigte.
Insgesamt ging es drei Wochen so weiter, dann konnte ich endlich einen günstigen Moment nutzen und ohne Anfall nach Hause. Ich wollte ja einfach nur nach Hause, denn dort wird man bekanntlich am schnellsten gesund. Im Krankenhaus konnten sie nichts mehr für mich tun, was nicht auch Zuhause möglich gewesen wäre.
Ich versuchte seit Beginn dieser Erkrankung, auf meinen Körper zu hören, ihm Ruhe zu gönnen. Aber ich wusste auch, dass ich mich fordern muss, um Fortschritte machen zu können. Sowas geht nicht von alleine weg… Ich fuhr über ein halbes Jahr kein Auto, kann bis heute nicht mehr Fernsehen schauen, laute Geräusche sind der Horror, zu viele Menschen um mich herum, die schlimmstenfalls noch durcheinander reden, ebenso. Telefonieren ist eine Qual. Aber, ich habe es geschafft, wieder normal leben zu können. Ich weiß, dass viele Menschen sich mit dieser Erkrankung nicht mehr vor die Tür trauen, aus Angst, sie könnten von einem Anfall übermannt werden, irgendwo da draußen. Sie werden depressiv.
Falls sich an dieser Stelle jemand fragt, was ich denn nun habe: Es handelt sich um eine Erkrankung des Innenohrs, der Gleichgewichtssinn ist gestört. Zudem habe ich Tinnitus und Hörstürze haben mein Hörvermögen geschädigt.
Was um alles in der Welt hat das denn nun mit der Fotografie zu tun?
Das fragt sich jetzt sicherlich der Eine oder die Andere, schließlich ist das ja ein Blog für Fotografie!
Es ist eigentlich ganz einfach:
Ich forderte mich von Tag zu Tag mehr heraus, seitdem ich damals aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Nach zwei Wochen ging ich jeden Abend im Dunkeln mit meinem Mann “spazieren”, ich hätte mit niemandem sprechen können, das war zu anstrengend. Außerdem wollte ich nicht gesehen werden, wie ich mich in Minischritten fortbewegte und für 10 Meter vermutlich eine Minute brauchte. Irgendwann ging ich alleine los, jeden Tag ein bisschen länger, weiter. Ich sah so viele schöne Dinge in der Natur, habe sie mit meinem Handy festgehalten. Ich liebte schon immer Tiere und Natur, aber seit meiner Erkrankung nehme ich vieles noch ganz anders wahr.
Es kam sehr schnell der Wunsch in mir auf, diese wunderschönen Geschenke der Natur ansprechender abzulichten. Also recherchierte ich, so gut ich das halt in dem Zustand konnte, und bestellte mir eine gebrauchte Sony Alpha 6000 mit einem 16-50 mm Kit Objektiv. Ich war so unwissend in der Fotografie, dass ich mich tatsächlich wunderte, warum ich damit nicht den Mäusebussard in Nachbars Garten anständig fotografieren konnte.
Ich probierte viel aus, versuchte mich mit der Technik vertraut zu machen. Mein Wunsch, die Fotografie anständig zu erlernen und später einfach alleine mit dem Auto irgendwohin fahren zu können, war sehr groß. Ich wollte nicht ständig meinen Mann fragen müssen, ob er mich fahren kann, das tat ich auch nicht. Die Motivsuche erfolgte damals nur in einem Radius, der fußläufig für mich erreichbar war. Aber jeder Fotograf wird es kennen. Egal aus welchem Bereich der Fotografie man kommt. Man möchte seinen Horizont erweitern, um neue Motive, neue Möglichkeiten, neue Kenntnisse, neue Technik.
Es folgten weitere Objektive, u.a. ein günstiges 55-210 mm. Das machte das Ganze schon deutlich besser, es erschloss sich mir eine völlig neue Welt. Da ich stetig an mir arbeitete, mich forderte, aber nicht überforderte, mir die Zeit in der Stille der Natur genommen habe, die ich brauchte, nahm alles seinen Lauf. Es zog als Nächstes eine Nikon D5600 ein, sie gefiel mir auf Anhieb. Man kann schon sagen, dass ich
diese Kamera echt lieb gewonnen hatte. Die Krönung war damals der Kauf eines Sigma Objektivs mit einer Brennweite von 150-600 mm. Dieser Koloss an einer APSC-Kamera war der absolute Wahnsinn und der Beginn meiner Leidenschaft für die Wildlife-Fotografie. Ich war mittlerweile so “mutig”, alleine in den Wald zu gehen. Anfangs machten die ganzen Bäume ringsherum meinen Kopf wirklich verrückt. Es kam meinem Hirn vor, als würde sich alles drehen. Aber ich wusste ja, dass dem nicht so war. Es war einfach nur mein gestörter Gleichgewichtssinn, der mir da was vormachte. Also ging ich jeden Tag in den Wald.
Irgendwann hatte mein Kopf das Ganze akzeptiert und es dreht sich seitdem nur noch ganz selten mal was. In dieser Zeit faszinierten mich die wuseligen Meisen im Wald, ich harrte stundenlang mit meiner Hündin zusammen aus und manchmal hatte ich Glück und konnte badende Vögel ablichten. Der Spiegel der Kamera war allerdings so laut, dass ich die Tiere verschreckte. Was machte ich? Ich verkaufte meine Ausrüstung und holte mir spontan eine Sony Vollformatkamera, die gerade supergünstig im Angebot war.
Meine fotografische Reise ging weiter, ich wollte mehr und mehr. Ich konnte nach langer Zeit endlich wieder Auto fahren und es erschlossen sich so viele neue Motive. Ich war auch durch stetiges Üben wieder in der Lage zu lesen. Mein Kopf spielte immer seltener verrückt. So eignete ich mir neue Kenntnisse an, später noch war es mir wieder möglich, kurze Videos zu schauen, zwar bis heute nur auf dem Handy, aber egal. Ich wollte auch unbedingt einen Kurs bei Zeitweise.art mitmachen, ein Video Online-Kurs, gepaart mit wöchentlicher Bildbesprechung in ZOOM. Ich haderte mit mir. Was, wenn ich die ZOOM-Meetings nicht schaffe? Aber ich wollte es so sehr. Ich wollte mich verbessern, mehr aus meinen Bildern herausholen. Und was wäre da besser, als ein persönliches Feedback zu meinen Bildern? Von drei Top-Fotografen? Und dann noch die Bildkritik der anderen Teilnehmer!
Ich fasste mir ein Herz und schrieb eine E-Mail an Zeitweise.art. Es kam sehr schnell eine supernette E-Mail zurück, Herrmann schlug mir vor, ich solle es einfach probieren. Wenn ich es nicht schaffen würde, bekäme ich das Geld zurück. Mein Herz schlug Purzelbäume, ich konnte es nicht fassen. Ich meldete mich umgehend an. Ich war Hermann so dankbar.
Der Kurs war fantastisch und hat mich zudem noch ein ganzes Stück weiter gebracht. Er hat mich und meine Erkrankung mit jedem Tag weiter herausgefordert und mir Mut gemacht, diesen Weg weiterzuverfolgen. Es fühlte sich alles so richtig an. Goldrichtig. So machte ich nach dem Sommerkurs noch den Herbstkurs von Zeitweise.art und war voller Tatendrang. Währenddessen setzte ich auch meine Tabletten ab und es ging mir zusehends besser.
Die Natur hat mich jeden einzelnen Tag herausgefordert und begeistert zugleich. Genau wie die Fotografie. Beides war und ist ein fester Bestandteil meines Lebens geworden. Seit dem Sommer 2022 fotografiere ich allerdings mit der Nikon Z6 II. Auch dieser Umstieg war sehr spontan, aber das ist eine andere Geschichte. Seit ich diese Kamera habe, fühle ich mich komplett. So wie sich damals meine Familienplanung mit dem dritten Kind komplett anfühlte. Ich liebe die Z6 II und gebe sie nicht mehr her. Mit ihr wurden meine
Bilder subjektiv gesehen hochwertiger, weil ich auch anfing, mich mit dem Thema Bildbearbeitung intensiver zu befassen.
Nikon Female Facets
Es gab einen Wettbewerb, Nikon Female Facets, ich wollte unbedingt mitmachen. Das Schöne war, dass es kein “normaler Wettbewerb” war. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten gab es viele Webinare mit tollen, überaus erfolgreichen Fotografinnen. Der Wettbewerb ist übrigens von Frauen für Frauen, allen voran Heike Jasper, die mir ungemein weitergeholfen hat. Sie ist unser “Erklärbär”, sehr technisch veranlagt. Kann toll erklären und vor allem immer wieder motivieren.
Immer, wenn ich mir anfangs die Gewinnerbilder aus dem Vorjahr ansah, fragte ich mich, wie man es nur schaffen kann, so wunderschöne Bilder zu machen. Wie wunderbar es sein müsste, ein Mal mit den Mentorinnen einen Workshop erleben zu dürfen. Dieser war den Gewinnern vorbehalten. Logisch.
Im September 2022 sollten die Gewinner bekannt gegeben werden. Klar, wer träumt nicht davon, in seinem E-Mail-Postfach eine solche Nachricht zu haben? Jeder, der an dem Wettbewerb teilgenommen hat vermutlich. Es wurden über 3.300 Bilder eingesandt, in fünf Kategorien.
Das Meeting der Mentorinnen verfolgte ich, wie viele andere Teilnehmerinnen, über Instagram. Tatsächlich sah ich mein Bild auf dem riesengroßen Tisch liegen. Hui, das war echt ‘ne Auszeichnung, wie mir Teilnehmerinnen des letzten Jahres attestierten. Ich war fassungslos, dass mein Bild es bis dorthin geschafft hatte. Schließlich fotografierte ich zu dem Zeitpunkt gerade mal zwei Jahre. Aber natürlich auch sehr intensiv. Durch meine Erkrankung hatte ich ja sehr, sehr viel Zeit, die ich komplett in die Genesung und die Fotografie steckte. Beides ist für mich untrennbar miteinander verbunden.
Zurück zum Wettbewerb. Es folgten später am Abend Statusmeldungen der Mentorinnen auf Insta wie: “It’s a wrap”, “Die Gewinnerinnen stehen fest”. Dann die Ernüchterung. Wer gewonnen hat, wird erst Wochen später mitgeteilt…
Geduld ist ja nicht so meine Stärke, jedenfalls nicht in solchen Dingen. In der Natur und Fotografie dann doch. Also war Warten angesagt. Immer wieder Gedanken wie: “Denk gar nicht erst darüber nach, hinterher bist du noch enttäuscht”. “Bist du denn verrückt zu glauben, dass gerade dein Bild gewinnt”. Dann wieder: “Aber eigentlich ist dein Bild vom Gimpel ja doch schon was Besonderes… Hab ich vielleicht doch ‘ne klitzekleine Chance auf einen Platz unter den ersten fünf Gewinnerinnen?” Ich wollte so gerne mit auf den Workshop, schließlich lernt man dort von den besten Fotografinnen!
Die Woche darauf schrieb mir eine Foto-Freundin aus unserer “NFF-Ruhrpottgruppe” über WhatsApp eine Nachricht: “Manu, hast du auch ‘ne Mail?” Ich ahnte etwas, Moni musste eine der Gewinnerinnen sein, ihr Bild lag nämlich damals auch auf dem Tisch. Als ich mein Postfach öffnete, erstarrte ich. Meine Augen glitten über die Mail. Noch jetzt, beim Schreiben dieses Blog-Artikels, schießen mir die Tränen in die Augen. Ich stand damals beim Lesen der Mail in der Küche, mein 10-jähriger Sohn in Sichtweite. Er wusste nicht, was mit mir los war. Ich musste heulen und lachen gleichzeitig. Ich war unendlich glücklich. Mein Bild vom Gimpel hatte es geschafft. Ich war dabei. Unfassbar!
Ich saß bestimmt einige Minuten da auf dem Küchenboden und heulte, lachte, alles gleichzeitig. Es war einfach unfassbar, dass jemand mein Bild würdigte, dass es aufgefallen war in der Menge an Bildern. Und das Unglaublichste daran ist, dass mein Bild den ersten Platz gemacht hat. Den 1.!!! Mein Bild! Ich kann es bis heute nicht richtig fassen.
Nächsten Monat ist der besagte Workshop. Vielleicht werde ich ja hier darüber berichten?
Es ist für mich immer ein wenig schwierig, zu einem so persönlichen Beitrag Worte zu finden. Ich finde es beeindruckend, dass Du uns so ausführlich über Deinen definitiv nicht einfachen Weg berichtet hast und glaube, dass dieser Artikel ziemlich sicher auch andere inspirieren kann und wird. Nein, falsch, ich glaube das nicht, ich bin mir sicher.
Ich freue mich darüber hinaus, dass Du auf diese Weise an die Öffentlichkeit gegangen bist und mindestens genau so sehr freue ich mich schon auf weitere Artikel von Dir.